Erfahrungsbericht einer etwas umfassenderen Fahrzeugwartung am W201 mit M102 nach 28 Jahren und 120.000km

  • Moin,


    wollte mal einen Erfahrungsbericht von der Wartung des W201 meines Herrn Vaters vom vergangenen Wochenende posten (Ja, falsches Forum aber ich wollte mich nicht extra beim W201-Forum anmelden und vielleicht interessiert der Beitrag ja den ein oder anderen). Der W201 190E 2.0 wurde im Mai 1988 gebaut (Mopf0) und wurde vor drei Jahren aus gepflegter Rentnerhand übernommen. Scheckheft ist vorhanden, Wartung seit Auslieferung ausschliesslich bei ein und derselben MB-Niederlassung. Ausstattung: 4-Gang Handschaltung, elektrisches Schiebedach, Radio MB Exquisit, Metallic-Lack, (sonschd nix). Der Erstbesitzer hat bei der Bestellung damals darauf bestanden die Fuchs-Barockfelgen von seinem vorherigen 123er zu behalten und diese bei MB extra eintragen lassen. Derzeitige Laufleistung: 120.123km von denen knapp 3000km im Besitz meines Vaters gefahren wurden. Der Wagen ist garagengepflegt und in einem hervorragenden Zustand und wird von meinem Vater (keinerlei Schraubergene vorhanden) als Youngtimer bei schönem Wetter bewegt und steht ansonsten abgedeckt in der Garage.


    An sich lief der Wagen sehr gut, aber trotz der geringen Laufleistung haben sich im Lauf der Jahre einige Wehwehchen breit gemacht die nun behoben werden sollten. Ich schreib mal der Reihe nach was ich gemacht habe: Der Motor lief im Leerlauf unrund was tierisch nervte! Es war ein schütteln und regelmässiges "Rupfen", kalt schlimmer als warm aber immer vorhanden. Warm sprang der Motor schlecht an, man musste 2-3 Sekunden orgeln bis er lief. Ausserdem schüttelte sich das Fahrzeug beim abstellen des Motors und auch wenn man im Leerlauf kurz aber deutlich aufs Gaspedal trat. Ausserdem, und das war das nervigste, trat der Bonnanza-Effekt beim beschleunigen in niedrigen Gängen und nach dem einkuppeln auf. Das tat er seid mein Vater ihn hat, jedoch wurde er im Lauf des letzten Jahres immer schlimmer. Was also tun denn gesund kann das nicht sein für den Motor/Antriebsstrang?


    Massnahme 1: Neue Zündkerzen (NGK, elektrodenabstand war nur bei einer Kerze korrekt, also ggf. mal prüfen vor dem einbauen), Zündkabel (Bosch), Verteilerläufer und Kappe erneuert.
    Ergebnis 1: Keine spürbare Veränderung des Leerlaufs obwohl die alten Kabel porrös und die alte Kappe total verschlissen war.


    Massnahme 2: TwinTec-KLR zu Testzwecken stillgelegt, nach Test wieder angeschlossen.
    Ergebnis 2: Kaltlauf wurde etwas ruhiger aber nicht perfekt. Leerlaufprobleme bei warmem Motor blieben bestehen.


    Massnahme 3: Einspritzventile und Dichtungen erneuert. Gummischläuche und Anschlussstutzen im Bereich des Luftfilters und um den Mengenteiler herum erneuert. Luftfilter natürlich auch neu...)


    Bereits bei der Demontage der Kraftstoffleitungen zwischen Mengenteiler und ESD viel auf das wenig bis garkeit Kraftstoff "herausspritzte". Ich vermute das die Ventile also den Druck nicht mehr aufrecht erhalten konnten. Die Ventile waren stark verschmutzt undsahen nicht mehr so richtig gut aus. Ferner sassen die Dichtringe (Halter) sehr locker im Stock was vermutlich dazu geführt hat das Nebenluft gezogen wurde. Neue Düsen samt Halter eingesetzt, Kraftstoffleitungen wieder angeschlossen. Dann noch die steinharten Gummischläuche rigns um den Mengenteiler und auch den unter dem LMM getauscht. Alles wieder zusammengebaut.
    Ergebnis 3: Nachdem ich die KPR 4 mal zur einschalten der Zündung habe Druck aufbauen lassen sprang der Motor sofort an und legte einen fast perfekten Leerlauf an den Tag - aber nur fast! Probefahrt gemacht und festgestellt das der Motor nun warm sehr schön rund lief. Der Warmstart war nun auch viel besser als vorher. Ich vermute das sich nach abstellen des warmen Motors durch die verschlissenen ESV Kraftstoff in den Brennräumen gesammelt hat was für den zuvor schlechten Warmstart verantwortlich war. Aber der Kaltlauf war spürbar schlechter als der Warmlauf.


    Massnahme 4: KLR wieder abgeklemmt und Motor über Nacht abkühlen lassen.
    Ergebnis4: Kaltlauf ohne KLR am nächsten Morgen hervorragend. Also KLR wieder angeklemmt, Leerlauf wieder schlechter... Miiist! KLR dann wieder abgeklemmt, ausgebaut und gestern beim Landratsamt austragen und die Steuerklasse wieder hochsetzen lassen. Was solls, in zwei Jahren bekommt er ohnehin eine H-Zulassung und gesunder Motorlauf ist für ein langes Motorleben wichtiger als weniger Steuer.


    Massnahme 5: Motor-/Getriebelager tauschen: Die vorderen Motorlager waren platt - ich konnte kaum meinen Zeigefinger dazwischen schieben. Also: Motorlager tauschen. War mit nem Hydraulikheber, dickem Holzbrett, Steckschlüsselsatz und Rostlöser für die Auspuffmuttern schnell erledigt. Auspuff gelockert, Lager getauscht. Getriebelager ging nach abstützen ebenfalls ohne Probleme. Fahrzeug wieder auf seine Räder abgelassen damit sich der Antriebsstrang ausrichten kann und danach alle Lager und den Auspuff wieder festgezogen.
    Ergebnis 5: Einsteigen, Zündschlüssel drehen und...nanu? Läuft der Motor? Drehzahlmesser zeigt zwar 750U/min an aber man hört und spürt quasi nichts! Motor wieder abgestellt. Schütteln beim abstellen weg! Wieder angestellt, Schütteln bei spontanen Gasbefehlen mit dem Pedal weg... Mann, das hat sich doch mal richtig gelohnt!


    Massnahme 6: Die vordere Gelenkscheibe war hinüber. Im Schubbetrieb vernahm ich ein rasselndes Geräusch aus dem Getriebetunnel und hatte dann das Gelenkwellen-Mittellager in Verdacht - unter dem Fahrzeug liegen stellte ich aber fest das sich die Gelenkscheibe von Hand (relativ zu Schwingungsdämpfer und Getriebeflansch) deutlich verdrehen liess. Bei Benz den Reparatursatz mit "weicher" Scheibe gekauft und bei der Getriebelageraktion die Scheibe gleich mitgewechselt.
    Ergebnis 6: Klappern ist weg und noch viel besser: Durch die Kombination aus neuen Motorlagern und der neuen Gelenkscheibe ist der Bonnanza-Effekt eliminiert worden! Ich war dann bei der Probefahrt kurz mal absichtlich etwas rüpelhaft mit Gas und Kupplung - der W201 lässt sich nicht aus der Ruhe bringen! Saaaagenhaft!


    Massnahme 7: Die Bremsleitungen waren steinhart, Beläge und Scheiben verschlissen, Bremsflüssigkeit auch schon drei Jahre alt. Also neue ATE Scheiben, beläge, Dichtmanschetten und Schläuche veraut, Bremsflüssigkeit gewechselt und alles sauber gespült und entlüftet (mit selbst gebautem Ueberdruck-Anschluss auf BV-Behälter und Luftpumpe mit Manometer - geht hervorragend, zumindest ohne ABS-System).


    Massnahme 8: Hydrauliköl und Filter der Servolenkung gewechselt. Dazu Rücklaufschlauch verlängert und das alte Oel erst mal mit Spritze abgesaugt. Dann den alten Filter raus, rest abgesaugt und Behälter randvoll mit frischem Hydraulikoel befüllt. Dann noch zwei Liter Hydrauliköl beritgestellt (Deckel auf!) und den Wagen vorn aufgebockt damit Räder frei schweben und das Lenkgetriebe bei der folgenden Aktion nicht belastet wird. Mein Vater hat dann den Motor gestartet und die Lenkung mehrfach von Endanschlag zu Endanschlag durchgedreht. Das gesamte alte Oel samt Schlamm wurde dabei über en Rücklaufschlauch in einen Kanister gepumpt. Gleichzeitig habe ich mit einem Trichter frisches Oel in den Behälter nachgegossen und dadurch den Oelstand konstant gehalten (Pumpe darf nicht trocken laufen!). Nech Spülung mit zwei Litern Oel Motor wieder aus und Rücklaufschlauch wieder an die Servopumpe anschliessen. Dann nen neuen Filter rein und Oel knapp über Max gefüllt. Motor an, lenkung erneut von Endanschlag zu Endanschlag durchgedreht um ggf. Luft aus dem System zu verdrängen. Dann den Oelstand kontrollieren und anpassen.
    Ergebnis 8: Lenkung geht erheblich leichter als vor der Spülung und bei Vollausschlag ist dieses kreischende Pumpengeräusch verschwunden.


    Massnahme 9: Motor- Getriebe- und Differentialöl wechseln und die gesamte Wartung im Serviceheft einkleben damit man später weiss was wann geacht wurde.


    MAssnahme 10: Kraftstofffilter und Druckspeicher erneuern.


    Massnahme 11: Abschmieren und pflegen von Scharnieren, Fangbändern, Schiebedach-Mechanik (zumindest wo man ohne Demontage dran kommt)


    Fazit: Insgesamt wurden am Wochenende ca. 900 Euro (für Marken- und Original-Ersatzteile und Fluide (Bosch, Mann, Boge, Lemförder, etc)) und zwei Tage Arbeit meines Vaters und mir in den Erhalt eines zukünftigen Klassikers investiert. Viel Geld einerseits denn der Verkehrswert des W201 ist ja noch nicht so hoch. Andererseits läuft der Wagen nun wieder tadellos und vermittelt einen souveränen Fahrkomfort - es ist wirklich erstaunlich wie startk man den Unterschied wahrnimmt...! Ausserdem wurden die Arbeiten in Eigenregie durchgeführt wodurch nur die Materialkosten zu Buche schlagen - ich will garnicht wissen was die Aktion bei MB gekostet hätte. Das gute Gefühl seinem Wagen etwas gutes getan zu haben ist nachhaltig und auch die Zeit die man bei solchen Arbeiten gemeinsam verbringt ist schön. Interessant finde ich auch wie sehr der Zahn der Zeit (immerhin stolze 28 Jahre) an der Technik nagt, auch wenn diese nicht stark beansprucht wurde.


    Fröhliches Schrauben und schönen Tag allerseits...


    PS: Nächstes Jahr fliegen die Fuchs-Barockfelgen raus und werden durch die passenden Gullideckel erstzt - die liegen schon in der Garage!

  • Ja, das mit dem KLR ist so ne Sache aber man weiss ja nie und wenn was passiert oder man auf einen findigen Tüv-Prüfer trifft dann ist man in den A.... gekniffen. Ich auch hatte keine Lust den neuen 20 Euro-Schlauch durchzuschneiden um den KLR wieder einzuschleifen! Dank Saison-Kennzeichen macht es eh nicht viel aus. Ich häng am Wochenende mal noch diverse Bilder dran, hab vorher leider keine Zeit. Bis dahin...